Kinderschuhe-Handschuhe-Handschule
oder die Werte der Geradlinigkeit
1971/1976/2022/2025 (open)
Mixed Styles
Klangetüde für Piano solo
Homage an Honfleur und Eric Satie
Die Komposition Kinderschuhe – Handschuhe – Handschule entstand als Bewältigung eigener Schulprobleme und Erinnerungen. Der Titel geht auf meine persönlichen Erfahrungen ein, die ich in meiner Jugend hatte:
Kinderschuhe, die ersten Gehversuche nach den ersten Schritten auf bloßen Füßen.
Handschuhe, die mich von der äußeren Welt schützen sollen, aber auch beengen können.
Handschule, die Kurzfassung einer Lebensschule, die dem Kind von den Eltern und Erziehern eingetrichtert wird und das nicht immer zum Positivum.
Außerdem werden Gefühlssituationen, wie z.B. Traum, Romantik in kurzer Reihenfolge belichtet. Das Leitmotiv ist einer “Kindermelodie“ entnommen. Zu Beginn des Stückes trägt der Pianist schmierige Handschuhe, ein Symbol für belastende Umwelt, deren er sich nach kurzer Zeit (Pause in takt 2) entledigt. Das Spielen von Musik soll für den Pianisten ein Freimachen von Problemen bedeuten.
Freimachen von Problemen, dies bedeutet u.a. eine freie Gestaltung der Komposition durch den Interpreten, d.h. Form und Inhalt werden nach Ermessen und Gefühl des Spielers bestimmt.
Dies setzt voraus:
- Kenntnis der verschiedenen Gefühlsausdrücke des Werkes
- Erfassen der eigenen Gefühlssituation während des Konzertes
Ein Beispiel: Der Pianist fühlt sich während des Konzertes in einer depressiven Stimmung. Deswegen wählt er die Sätze „j, k, l“ der Komposition aus. Danach oder währenddessen unterbricht er sein Spiel. Nach einigen Minuten Entspannung glaubt sich der Interpret in einer romantischen Lage. Der Teil „h“ der Klangetüde erklingt. Musik wiederzugeben heißt also nicht nur die Ideen des Komponisten zu verdeutlichen, sondern auch die Gefühlswelt des Interpreten mittels einer musikalischen Vorlage umzusetzen. Das emotionale “Bewusstsein” und das daraus resultierende Auswählen von Musik bilden entscheidende Faktoren. Die körperliche Haltung des Pianisten während des Konzertes sollte seinem Gefühlszustand entsprechen. Die Buchstaben „a – r“ zeigen meinen eigenen Emotionsablauf während des Komponierens. In der praktischen Arbeit mit einer Pianistin an meinem Stück kristallisierte sich noch eine andere Interpretation:
„a b c c1 d (Melodie) f g i j k l h d m n o k k k k k p q r“
Diese beiden Vorbilder stellen allein zwei von vielen Möglichkeiten dar. Es ist durchaus beabsichtigt, dass die Komposition eine bestimmte Naivität, Einfachheit, Unbefangenheit in sich trägt.
Die Intimität der Komposition erfordert eine angemessene Konzertsaalatmosphäre. Eine Möglichkeit ist das Aufstellen des Klaviers in einer romantischen Wohnumgebung. Das bedeutet die Verwendung von Attributen wie: Radiogerät,
Sofa, Sessel, Stehlampe, Teppich, Tisch. Die Komposition kann auch als „Rahmenstück“ eines Musikprogramms dienen. In diesem Fall wird die Partitur in den Pausen der anderen Musikstücke sowie zu Beginn und am Ende des Konzerts gespielt.
Die Komposition bedeutet für mich nochmals eine musikalische Schilderung/Aufarbeitung eigener persönlicher Jugendprobleme, Anschauungen und Erinnerungen. Wegen des sehr persönlichen Charakters des Stückes empfiehlt es sich, vor einer eventuellen Interpretation Kontakt mit dem Komponisten aufzunehmen.
2021 fand ich auf Kassette die alten Tonaufnahmen von Kinderschuhe – Handschuhe – Handschule, die Magda Dijkhorst 1977 in ihrem Wohnzimmer auf dem alten Klavier gespielt hatte. 5 Aufnahmen konnte ich restaurieren und manchmal neu instrumentieren (2025). Die ersten Skizzen des Stückes waren meine Aufnahmeprüfung für die Kompositionsklasse von Ton de Leeuw. Dies war besonders, da der Unterricht in privater Umgebung in Hilversum stattfand und nicht im Konservatorium in Amsterdam.
Den Text, den ich bei der Uraufführung des Stückes am 18.3.1978 während der OMAEX in Erlangen unter dem Titel „Kinderbiographie“ geschrieben hatte, habe ich selbst in der neuen Version des Stückes gesprochen. Die Premiere von „Kinderschuhe-Handschuhe-Handschule“ spielte übrigens Arie de Wit.
© Grafischer Entwurf: Ruud de Graaff