Apples And Potatoes ( a concept)

Sound collage about the live of apples and potatoes in a cellar

1977

1. Einleitung

Die Komposition Apples and Potatoes sollte auf der Basis des Kindertheaterstücks „Der Zankapfel”  entstehen, das im Experimentiertheater an der Universität Erlangen entwickelt wurde. Schüler der 4., 5. und 6. Klassen des Kaiser-Heinrich-Gymnasiums in Bamberg zeichneten und schrieben im November 1971 unter dem Titel Die Kistenbewohner” Bilder und Aufsätze, die entscheidend zur Text und Bildgestaltung des Theaterstückes beitragen sollten. Es wurden sogar ganze Theaterszenen mit beigefügten Regieanweisungen entwickelt, Kinder sollten eben für Kinder ein Theaterstück entwerfen.

Die Idee schien somit nicht abwegig, auch die Musik zum Theaterstück von Kindern konzipieren zu lassen, d.h. Textbilder sollten musikalisch formuliert werden. Leider wurde das Theaterstück in Erlangen niemals zu Ende geschrieben und aufgeführt.

Deswegen konzipierte ich 1977 zum gleichen Thema eine audiovisuelle Komposition auf der Grundlage von Klängen, die ich einige Jahre später in den Niederlanden mit blinden Kindern auf Tonband aufnahm.

2. Die audiovisuelle Komposition Apples and Potatoes

Aus folgenden Gründen entschloss ich mich, diese Arbeit mit blinden Kindern zu tun:

  1. Einer gesellschaftlichen Randgruppe wird die Möglichkeit gegeben, an die Öffentlichkeit zu treten.
  2. Meine Erwartung war, eine eigene Vorstellungswelt von blinden Kindern vorzufinden, die diese spezifisch in Klangkonstellationen umsetzen können.

Die Handlung des Theaterstückes spielt in einem Keller, in dem Konflikte zwischen Äpfeln und Kartoffeln ausgetragen werden. Der Zankapfel, ein kranker Apfel, der von der Apfelgemeinschaft ausgestoßen wurde, ist Stein des Anstoßes.

Es zeigte sich, dass die blinden Kinder spezifische Ideen vom Sprechen von Äpfeln und Kartoffeln entwickelten. Jedes der blinden Kinder erhielt einen Apfel und eine Kartoffel, um die Beschaffenheit der Objekte zu erfragen. Diese Erfahrung, über Tast- und Geschmackssinn, sollte dann in Klangstrukturen ausgedrückt werden.

Die Stimme schien mir dabei ein allen vertrautes Instrument, das die Vorstellungen und Gefühle der Kinder auf unmittelbarem Produktionsweg in Musik umsetzen konnte.

Hemmungen der Kinder, die sich durch eine fehlende Instrumentenkenntnis ergeben könnten, waren somit ausgeschlossen.

Diese Realisierungsweise erbrachte innerhalb einiger Monate Klangmaterialien, die auf Tonband aufgenommen wurden. Unter Zuhilfenahme von geringen elektronischen Mitteln, wie Hall oder Filter, wurden diese Musikstrukturen zu einer Collage verarbeitet.

3. Die Diaprojektion

Das Diamaterial wurde nach zwei Hauptthemen zusammengestellt:

  1. Die blinden Kinder bei der Erzeugung der Klänge  (konkretes, informatives Material) – Photographie Theo Coolsma
  2. Die Welt der Äpfel und Kartoffeln  (abstraktes Material) – Photographie (bis jetzt nicht realisiert)

Zuerst werden die Äpfel, dann die Kartoffeln vorgestellt, d.h. das Aussehen der beiden Gruppen und ihre Lebensverhältnisse. Die Äpfel sind glatt, rund und sauber und leben, eingewickelt in Papier, in einer Kiste. Die Kartoffeln sind schmutzig und schrumpelig, treiben aus und liegen durcheinander in einer Ecke. Durch den Fäulnisprozess verschwimmen die Gegensätze und verändern sich schließlich ins Gegenteil. Die Äpfel werden weich und matschig, die Kartoffeln bekommen geheimnisvoll aussehende Augennetze und bleiben fest. Am Schluss der visuellen Komposition wird an den Gebrauchswert der beiden Gruppen erinnert. Die Kartoffeln werden zu Pommes frites, die Äpfel zu Apfelsaft verarbeitet. Ich will hier nicht weiter auf die sozialen Hintergründe des Stücks eingehen, möchte aber kurz aufzeigen, dass äußere Erscheinungsmerkmale nichts über inne liegende Werte aussagen. Blinde Kinder werden auf Grund ihres Handicaps an den Rand unserer Gesellschaft gedrückt. Sie leben isoliert.

4. Die Realisation

Die audiovisuelle Komposition wird etwa 15 Minuten dauern. Das Stück sollte auf zwei verschiedene Weisen präsentiert werden:

  1. in Konzertform – die Diaprojektion wird über einen Impulsgeber mit dem Ton parallel mitlaufen
  2. in Buchform

Die Präsentation durch das Buch erfordert eine Hör-Lese-Partitur und ermöglicht „Musik zum Sehen“, d.h. der Leser kann mit einer beigefügten Kassette die Musik und gleichzeitig die Fotographien verfolgen, den visuellen Prozess des Stücks zurücklegen. Eine Rundfunkgesellschaft (VPRO) nannte diese Präsentation „Klangbuch für Nicht-blinde“. Apples and Potatoes ist ein Klangbuch für Nicht-blinde von Blinden“.

Neben der Komposition könnten natürlich auch einige der Gymnasiasten-Aufsätze abgedruckt werden, sowie ihre visuellen Vorstellungen von Äpfeln und Kartoffeln, die im Kunsterziehungsunterricht erarbeitet wurden. Die Buchform erlaubt somit eine intensivere Beschäftigung mit dem Thema.

Das Buch ist sowohl für Kinder als auch für Erwachsene konzipiert.

Zum Abschluss möchte ich darauf hinweisen, dass audiovisuelle Kunstformen in unserem Zusammenleben eine immer größere Rolle spielen. Die Konfrontation mit neuen Medien setzt neue pädagogische Akzente für Verlage und Fernsehgesellschaften.

Apples and Potatoes wurde bis jetzt nicht realisiert. Teile der Diaprojektion wurden fertig gestellt wie auch erste kompositorische Skizzen. Die Gymnasiasten-Aufsätze und Bilder wurden nicht weiter publiziert.

© Copyright - Michael Fahres