Chaines 2 Scenes
Versuch einer Rolle; Vorbildung, Konzert, Abbildung
1976 (11′28″)
Musik für Theater/Performance
für Alpha LSI 2/2o Computer,
Tempophon, 2 EMS VCS3 Synthesizer,
2 Diaprojektoren und einen Menschen
Photographie: Theo Coolsma
Die Zwölftonmusik und ihr postserieller Nachlass übermittelten dem Komponisten ein logisch-mathematisches Kompositionssystem als Basis für jede musikalische Idee. In den 5oziger Jahren wurde in Deutschland dieses Erbe aus einem Bedürfnis nationaler kultureller Eigenständigkeit heraus verwaltet. Heute ist einer derartigen geistigen Haltung die Motivation entzogen. Die dodekaphonische Reihe entwickelte sich zur etablierten Qualitätsvoraussetzung von ‘Neuer Musik’. Deswegen ist es eine Aufgabe des Komponisten, diese Ideologie zu untersuchen, zu analysieren, zu attackieren. Zu oft versucht nämlich der Komponist das Fehlen von musikalischen Bewusstsein mittels einer Formel zurückzugewinnen. Gute Musik sucht nach einer Harmonie, nach einem Gleichgewicht von Ratio und Emotio, nach einer Synthese von Spiel und Sicherheit.
Die Ambivalenz zwischen dem rationellen und emotionellen Aspekt soll aber nicht als Aktion-Reaktion verstanden werden.
Der Fotograph fühlt sich mit der Dualität Ratio-Emotio nicht konfrontiert: er ist kein Komponist. Er sieht jedoch diese Aspekte, die wahrscheinlich eine Ursache dafür darstellen, dass er viel Mühe mit dem Hören von neuer und elektronischer Musik verbindet.
1. zu ‘Einbildung’:
Die Szene ‘Einbildung’ zeigt das Rollenverhalten der verschiedenen
Teilnehmer eines Konzertes. Von der Erwartung des Publikums, über die Posen des Instrumentalisten bis zum seriösen Auftreten des Komponisten werden verschiedene Haltungen aufgezeigt und vorgeführt. Durch negative Publikumsreaktionen, die über Tonband eingeblendet werden, werden die einzelnen Akte unterbrochen. Der Spieler (Musik-Clown) verfällt daraufhin in Gefühlsausbrüche, die die Grundlage für ein neues öffentliches Präsentieren und Repräsentieren bilden. Die erwähnten Charakterzüge eines Clowns finden in diesem Stück eine Ausdeutung.
In vielen Gesprächen mit dem Kabarettisten und Clown F.J.Bogner wurden mir die typischen Eigenschaften, die den Clown zum Clown werden lassen, verdeutlicht.
(Memoiren eines Clowns, Bogner, Franz Josef, Verlag: Zytglogge, 1993, ISBN 10: 372960449X / ISBN 13: 9783729604490)
zu ‘Vorbildung’:
In dem ersten Teil der Komposition ‘Chaines 2 scenes’ versucht der Photograph mittels Diaprojektion Kontraste zu setzen. Dies geschieht in Gegenüberstellung von einer Kinder- und Puppenwelt bezüglich ihrer Funktionen von Mensch – Objekt, Haut – Plastik, Natur und Künstlichkeit. Der Photograph problematisiert also das
mit visuellen Mitteln. Gleichzeitig erfährt eine Person, halbseitig als Clown, halbseitig als Mensch maskiert, dass sie sowohl puppenhafte, wie auch kindliche Züge besitzt. Dieser ‘Halbmensch’ soll die beiden Welten synthetisierend verkörpern.
2. zu ‘Konzert’:
Der oben aufgezeigte Kontrast wird in dem Konzertteil musikalisch behandelt. Dies geschieht mittels Gegenüberstellung von mathematisch konzipierten Strukturen (elektronische Musik) mit ‘primitiven’ Tonfolgen (Blockflötenmusik, durch den ‘Musik-Clown’ wiedergegeben). Die Form dieser Tonfolgen entspricht der Musik von zweieinhalbjährigen Kindern. Bei dem kleinen Kind sehen wir das Fehlen von Tonalität und Tonalitätsgefühl. Das Kind mit zweieinhalb Jahren beginnt aus voller Brust zu singen, endigt aber kaum hörbar.
Die Synthese beider musikalischer Stile wird kompositorisch bewerkstelligt. (gleiches Tonmaterial u.s.w.) Das Spiel des Melodieinstruments wirkt sich also integrierend aus.
3. zu ‘Abbildung’:
In ‘Abbildung’ bildet der Photograph (Diaprojektion) das Gesicht des Clowns ab. In schraubenförmiger Kamerabewegung wird die Gesichtsoberfläche vergrößert bis am Ende z.B. eine Falte nicht mehr als Detail eines Gesichts, sondern allein als Struktur erkennbar bleibt. Synchron dazu verändert sich ein lang ausgehaltener Ton in pointillistische Klanggewebe (elektronisch erzeugt).
© Michael Fahres, 1976
Zu der Aufführung von ‘Chaines 2 scenes’ am 18.3.1978 während der OMAEX in Erlangen hatte ich im Programmheft meine Kinderbiographie geschrieben.